Die Schweiz bietet ein interessantes Tanzumfeld für mich. Ich war viele Jahre in Berlin engagiert. Nach meinem Karriereende als Primaballerina bin ich in die Schweiz gekommen, um hier eine professionelle und international anerkannte Tanzausbildung aufzubauen.

Ich wäre gerne am Theater oder der Oper geblieben. Mich hat das Pulsierende, die Kreativität mit den Tänzern fasziniert, neue Rollen zu erarbeiten, Training zu geben, aber es hat sich anders ergeben. Ich kann nun meine Erfahrungen an junge Talente weitergeben, das ist sehr schön.

Ein Tänzer hat zwei Leben. Das eine Leben gehört dem Tanz,  das andere ist das Leben danach. Das sind zwei komplett andere Lebensabschnitte.  Zu meiner Karrierezeit war ich nur für mich verantwortlich, in meinem Beruf als Ausbildnerin heute für eine ganze Schule.

Die Ausbildung ist hart. Bei der Aufnahme prüfen wir die Körperlichkeit genau, die Flexibilität des Körpers, die Füsse, die Sprungkraft, die Koordination und die Intelligenz. Die Füsse der Mädchen sind sehr belastet. Das Stehen auf der Spitze und das ständige Springen verlangt den Mädchen und den Füssen viel ab. Ich hatte Glück, meine Füsse sehen noch ziemlich normal aus. Aber es gibt Mädchen mit Deformationen. Das schwerelose Schweben auf der Spitze zu lernen braucht viele Jahre harte Arbeit.

Steffi Scherzer mit ihren Schülern beim Training in der Tanz Akademie Zürich. Foto: Mike Flam

Steffi Scherzer beim Training mit ihren Schülern. Foto: Mike Flam

Disziplin ist sehr wichtig. Disziplin wird in der Ausbildung anerzogen. Am Beginn steht die Faszination für den Tanz, ein Hingezogen sein. Dann kommen Training und Disziplin. Tanzen ist vergleichbar mit Leistungssport, Leistungssport ist messbar, Ballett nicht. Ganz wichtig ist, zur körperlichen Leistung kommt noch die Kreativität und die Seele dazu.

Körperliche Begabung ist nicht alles. Durch Fleiss und Wille kann man viel erreichen. Ich habe oft erlebt, dass körperliche Begabung nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat, welches man sich erhofft  oder erwartet hat.  Wir modellieren die Muskeln, den Menschen, bringen alles in die Form, die man für den klassischen Tanz braucht.

Der Körper muss sprechen lernen. Die Koordination der Bewegungen scheint in manchen Genen veranlag,  es gibt Kinder die haben das im Blut.  Aber Vieles wird erlernt,  die Koordination der Arme und Beine, die Armhaltung, die Haltung des Kopfes, der Finger und der Augen. Alles muss  ineinander spielen, daraus ergibt sich die schöne, weiche Bewegung. In der Ausbildung lernt man die Schritte, aber wir fördern auch die Seele, die Schönheit, das Denken und die Intelligenz. Mentale und körperliche Stärke, beide sind wichtig, beides wird gleichmässig viel beansprucht.

Schüler der Tanzakademie Zürich beim Training mit Steffi Scherzer

Schüler der Tanz Akademie Zürich beim Training. Foto: Mike Flam

Kunst kommt von Können. Können erzielt man durch ständiges Wiederhohlen. Wir trainieren so lange bis die einzelnen Bewegungen zu einer Art Reflex werden. Korrekturen braucht es, aber  der Körper ist so geschult, dass er Vieles reflexartig ausführen kann.

Ich muss diese jungen Menschen an ihre Grenzen treiben und weiter. Das Training ist Zuckerbrot und Peitsche. Beides. Das ist oft eine schwierige Gratwanderung. Meine Aufgabe ist die jungen Menschen anzutreiben, sie aber nicht zu zerstören, weder körperlich, noch mental. Das ist die grösste Herausforderung für mich.

Wir tanzen nicht für den Applaus. Es ist die Liebe zum Beruf, die Faszination für den Tanz, die uns antreibt.  Wir machen, was wir gerne machen, was wir gewohnt sind zu machen. Tänzer stehen früh morgens auf und gehen zum Training, täglich. Was anderes kennen wir nicht.  Ruhephasen und Urlaub muss es geben, aber viele trainieren täglich, auch am Sonntag.

Die Bindung zu meinen Schülern ist sehr stark. Das sind Geschöpfe  die unter meiner Obhut stehen. Die ich anleite, betreue, berate, unterrichte und begleite. Ich hänge an meinen Schülern. Mit vielen bleibe ich in Kontakt, verfolge ihre Karieren weiter,  gebe bei Bedarf Ratschläge. Gemeinsam geht man durch viele Höhen und Tiefen, das ist auch für mich als Lehrerin nicht immer einfach.

Man unterrichtet nicht immer gleich. Wie ich mich als Tänzerin entwickelt  habe, so habe ich mich auch als Lehrerin entwickelt. Die Summe der Erfahrung ergibt den Unterrichtsstil.  Man muss auch mit der Zeit gehen.

Mein Ziel ist die Ausbildung weiter zu verbessern.  Sie zu modernisieren, denn auch der klassische Tanz verändert sich. Ich muss meine Arbeit immer wieder hinterfragen. Auch mich als Mensch, als Lehrerin, als Direktorin.

Tanz Akademie Zürich - Das Training ist hart, sagt Steffi Scherzer.

Tanz Akademie Zürich – Das Training ist hart, sagt Steffi Scherzer. Foto: Mike Flam

Steffi Scherzer ist Dozentin Klassischer Tanz, Spitzentanz, Klassisches Repertoire.

Steffi Scherzer besuchte die 7-jährige Ausbildung an der Staatliche Ballettschule Berlin/Deutschland mit anschliessendem Engagement an die Deutschen Staatsoper Berlin. 1984 wurde sie zur Primaballerina ernannt.

Steffi Scherzer tanzte die Hauptrollen in allen bedeutenden klassischen wie neoklassischen Balletten. Dafür erhielt sie zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen sowie Kunst- und Kritikerpreise. Auslandgastspiele führten sie auf Bühnen der ganzen Welt. Sie arbeitete mit bedeutenden Choreographen wie Rudolf Nurejev, Patrice Bart, Maurice Béjart, William Forsythe, Pierre Lacotte, Roland Petit und Uwe Scholz u.a., zusammen. Steffi Scherzer ist Ehrenmitglied der Deutschen Staatsoper Berlin und zählt zu den herausragendsten klassischen deutschen Ballerinen. Studenten, die von Steffi Scherzer vorbereitet wurden, errangen vordere Plätze und Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben.

 

Steffi Scherzer, Tanz Akademie Zürich. im Gespräch mit Elisabeth Giovanoli

Steffi Scherzer, Tanz Akademie Zürich, im Gespräch mit Elisabeth Giovanoli Foto: Mike Flam

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