Iris Ritzmann ist mit vier Geschwistern in Zürich aufgewachsen als Tochter einer jüdischen Mutter und eines Schweizer Vaters. Sie hat Medizin sowie Geschichte studiert. Bis 2012 war sie Professorin am Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich, dann wurde sie freigestellt und entlassen. Sie wurde beschuldigt, den Medien vertrauliche Berichte über Christoph Mörgelis Arbeit als Museums-Kurator zugespielt zu haben. Ritzmann sass im Zuge der Affäre Mörgeli in Untersuchungshaft. Sie selbst hat die Vorwürfe stets bestritten. Iris Ritzmann wurde vom Zürcher Bezirksgericht vom Vorwurf der mehrfachen Amtsgeheimnisverletzung freigesprochen, doch das Urteil wurde von der Gegenseite weiter gezogen.

Von meiner Mutter habe ich jüdische Wurzeln. Im Judentum ist man jüdisch, wenn die Mutter jüdisch ist. Ich würde mein Judentum nicht religiös definieren, sondern historisch. Mein Mann und ich sind agnostisch. Eigentlich muss man sich über die eigene Zugehörigkeit wenig Gedanken machen, bis zu dem Augenblick, in dem man selber Kinder hat. Dann stellt sich die Frage: Was gebe ich weiter?

Israel ist ein spannendes und wichtiges Land. Israel ist nicht meine Heimat. Ich beherrsche Hebräisch (Ivrit) nicht. Ich kann es nicht lesen, und somit kann ich mich in Israel nicht orientieren, mich dort nicht zu Hause fühlen. Meine Mutter dagegen hat die Sprache fliessend gesprochen.

Meine Erziehung war eine Erziehung mit viel Strenge und Gewalt. Ich habe grosse kulturelle Förderung erfahren, durfte viel reisen, lesen, diskutieren, aber es war eine sehr strenge Erziehung. Mein Glück war, dass wir fünf Geschwister waren, und wir haben uns gegenseitig das gegeben, was eigentlich Aufgabe der Eltern gewesen wäre, Liebe und Zuwendung.

Iris Ritzmann kann nach einer schweren Zeit wieder lachen. Foto: Mike Flam

Iris Ritzmann kann nach einer schweren Zeit wieder lachen. Foto: Mike Flam

Ich wollte eine bessere Mutter sein. Ich lehne Gewalt ab. Kindererziehung ist anspruchsvoll. Heute bin ich sehr stolz auf meine Töchter. Sie sind keine Musterschülerinnen, aber sie sind beide mutig, stehen im Leben und setzen sich ein, wenn es um Ungerechtigkeiten geht. Das sind hohe Werte in unserer Familie.

Meinen Mann habe ich über die Pockenschutzimpfung kennengelernt. Er hat seine Dissertation geschrieben, und mich hat das Thema zur gleichen Zeit interessiert. So entstand ein Kontakt, der später in einer Ehe endete. Aussehen alleine macht für mich einen Mann noch nicht attraktiv. Es muss auch ein Austausch möglich sein, eine Diskussion, dann wird es spannend.

Familie ist mir sehr wichtig, im umfassenderen Sinn. Ich zähle auch Menschen dazu, die nicht im herkömmlichen Sinn Familie sind. Da gehören gute Freunde dazu, all die Menschen, für die ich mich wirklich einsetzen würde.

Freundschaft bedeutet nicht, man trinkt ein Glas Wein zusammen. Wenn man in eine Krisensituation gerät, die den Einsatz anderer Menschen verlangt, dann erkennt man erst, wer ein wirklicher Freud ist und wer nicht. Es gab einige Wenige, die so sehr Angst bekamen, dass sie mich wie eine heisse Kartoffel fallen liessen. Sehr Viele haben mich aber überrascht mit ihrem Mut, ihrer Grosszügigkeit und verlässlichen Freundschaft. Das sind Erfahrungen, die man nicht vergisst. Diesen Menschen fühle ich mich sehr verbunden.

Freundschaft heisst, Verantwortung übernehmen. Freundschaft ist kein Wort, das mir nach allem, was vorgefallen ist, leicht über die Lippen kommt. Ich bin vorsichtig geworden mit dem, was ich Freundschaft nenne.

Es ist mir wichtig, mich geliebt zu fühlen. Dieses Gefühl bedeutet, da ist ein Platz für mich. Das verspüre ich seit meine Kinder auf der Welt sind besonders stark. Es gehört für mich deshalb zum Schönsten, meine Kinder gross zu ziehen. Ich freue mich, wenn man mich braucht.

Iris Ritzmann in ihrem Büro Kompass A. Foto: Mike Flam

Iris Ritzmann in ihrem Büro Kompass A. Foto: Mike Flam

Wir wohnen in einem kleinen gemieteten Einfamilienhaus. Mit genau so vielen Zimmern wie Personen. Es hat einen Garten rundherum, der mir sehr viel bedeutet. Den Begriff kreatives Durcheinander liebe ich, denn er beschreibt positiv, was andere mit Unordnung bezeichnen würden. Dennoch bin ich ständig am Aufräumen.

Eine Hausfrau ist man in dem Moment, in dem man Wäsche macht. Die Hausarbeit erledige ich genauso wie meine berufliche Arbeit. Allerdings muss ich zugeben, ohne meinen Mann, der mindestens fünfzig Prozent übernimmt, hätte ich den Familienalltag nicht geschafft.

Karriere ist der falsche Begriff für mich. Die habe ich nie angestrebt. Ich war immer ein Berufsmensch. Ich bin durch und durch mit jeder Faser Wissenschaftlerin. Das ist mein Leben, meine Leidenschaft. So betrachtet, ist meine Familie ein Experiment, denn ich kann meine Persönlichkeit nicht aufteilen. Ich versuche jeden Tag, meine Kinder und meine Familie zu verstehen und die Frage zu beantworten: Was wäre ein guter Weg?

Ich bin eine Rosinenpickerin. Alles, was mir gut tut, was mich freut, picke ich im wahrsten Sinn des Wortes auf. Ich bin ein fröhlicher, sehr positiver Mensch und sehe auch das Positive in anderen Menschen. Kleinigkeiten können mich enorm berühren und erfreuen: ein schönes Blatt, ein Vogel der pfeift, Musik. Ich bin auch ein sehr strenger Mensch, fast unerbittlich, habe hohe Ansprüche. Meine Studenten und Doktoranden können ein Lied davon singen. Alles sollte möglichst perfekt sein. Das Gleiche gilt für mich. Ein hoher Wert für mich ist, dass man eine Sache durchzieht, die man einmal begonnen hat.

Geschichten hören und helfen können. Ich habe mich schon in der Schule sehr für Menschen und ihre Geschichten interessiert. Was Menschen erzählen, wie es ihnen geht, was sie erlebt haben. Begonnen habe ich mit Psychologie, nach dem Grundstudium habe ich mit Medizin angefangen mit dem Ziel Psychiatrie. Das Thema meiner Dissertation war: Der Leidensdruck, die Ausgrenzung und Diskriminierung von dicken Frauen. Die Fragestellung hat mich zu den Geschichten der Frauen geführt und zu den historischen Fakten der Pathologisierung von Dicken in der Gesellschaft. Das war mein Weg in die Medizingeschichte, wo es auch um Menschen und ihre Geschichten geht.

Ich habe Medizin und Geschichte studiert. Das braucht einen langen Atem. Mein Wunsch war immer, etwas Reflektives zu machen. Medizingeschichte ist immer noch eine Männerdomäne, vielleicht weil der Aufwand für ein Doppelstudium sehr gross ist.

Medizingeschichte bedeutet, dass man sich historisch mit der Medizin auseinandersetzt. Wie hat man Medizin früher betrieben, wie haben sich die Patienten verhalten? Wie ist unser Gesundheitssystem entstanden? Warum gibt es Krankenkassen? Warum verdient ein Urologe ein Vielfaches von einem Hausarzt? Das sind spannende Entwicklungen in der Geschichte.

Ich bin aktuell in einer unsicheren Lebensphase. Alles ist neu. Ich habe mich selbständig gemacht. Vorher war klar, ich arbeite an der Universität und irgendwann gehe ich in Rente. Schön für mich ist, dass ich nach all dem, was passiert ist, noch immer im Fach bin. Ich forsche weiter, schreibe Artikel und halte Vorträge. Dafür werde ich aktuell nicht bezahlt. Wir mussten Schulden machen wegen der hohen Anwaltskosten. Finanziell ist die Situation schwierig.

Iris Ritzmann hat ihre Leben neu sortiert. Foto: Mike Flam

Iris Ritzmann hat ihre Leben neu sortiert. Foto: Mike Flam

Meine Firma kompass A soll mir auch ermöglichen, meine Forschung weiterzutreiben. Sie zu finanzieren. Ich biete Projektbetreuung und Coaching an. Ich betreue wissenschaftliche Arbeiten und Projekte. Und ich helfe Menschen, die an ihrer Arbeit verzweifeln, die nicht wissen, wie man eine wissenschaftliche Arbeit schreibt.

Mein Umgang mit der Kündigung und dem Strafprozess. Ich versuche, das Geschehene zu verarbeiten und zu analysieren. Ich möchte es in Worte zu fassen. Ich möchte aufmerksam machen, was in unserer Gesellschaft passieren kann. Mein Fall ist öffentlich bekannt, war überall in den Medien. Mir wurde klar, es gibt viele ähnliche Beispiele, aber davon hören wir kaum etwas. Man nehme nur den Fall von Daniel Saladin. Das Thema ist: Wo läuft es schief im Rechtsstaat, wo sind Mächtige am Werk? In meinem Fall waren das die Universität, die Politik und der Rechtsstaat, die zusammenspannten. Da ging es eigentlich nicht um mich, sondern um etwas ganz Anderes.

Ganz schnell kann jeder von uns unter die Räder kommen. Wenn man wie ich im Gefängnis sitzt und die Menschen dort kennenlernt, dann ist man überrascht. Man stellt sich Kriminelle anders vor, und plötzlich ist man einer von ihnen.

Ich möchte mein Alter als eine wichtige Lebensphase geniessen. Ich hoffe, dass ich noch erleben darf, dass ich Grossmutter werde. Dass ich weiter fit bleibe. Dass ich meine Kontakte nicht verliere. Dass ich weiter Forschen kann und darf. Und ich möchte kein einsames Alter erleben, denn ich liebe die Menschen.

Iris Ritzmann. Foto: Mike Flam

Iris Ritzmann und Elisabeth Giovanoli von bestyears.ch Foto: Mike Flam

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