Einen  Schatten der Vergangenheit gibt es für mich. Wenn ich einem Mann begegne, dann ist dieser Schatten immer ein Stück weit da. Nicht moralisch, sondern weil man schnell zu einem Paradiesvogel wird. Wie eine Trophäe. Das muss ich ausschliessen. Ich frage mich immer, bin ich interessant oder ist es meine Geschichte, die interessiert?

Wenn ich da Wahl hätte, ich würde den gleichen Weg wieder gehen. Wäre ich nicht Prostituierte geworden, dann sonst etwas Spezielles – Löwenbändigerin vielleicht. Ich bin durch Zufall zur Prostitution gekommen und hatte zu Beginn die gleichen Vorurteile und Vorstellungen wie alle anderen Leute auch. Aber nach einer Woche merkte ich, dass das alles gar nicht so war. Es geht weder um Sex, noch ist es schmutzig, noch muss man sich nachher waschen, es ist eine Arbeit. Es ist nicht so intim, wie wenn eine Krankenschwester einen Patienten wäscht oder pflegt. Es ist gibt keine emotionale Nähe. Sex ist Mittel zum Zweck um die Sehnsüchte der Männer zu erfüllen. Es ist einfach eine Arbeit. Man spielt seine Rolle und muss immer improvisieren. Es ist ein Weg und manchmal merken auch die Männer mittendrin, dass es der falsche Weg ist.

Brigitte Obrist

Brigitte Obrist und Raubtier. Foto: Mike Flam

Es war eine gute Zeit. Ich hatte keine Konkurrenz, ich war selbständig, unabhängig und hatte jeden Tag Geld. Zwischen 20 und 30 ist das wichtig. Wir waren damals Freundinnen untereinander, wir haben wie in Wohngemeinschaften gearbeitet und gelebt, haben gemeinsam gegessen. Wir Frauen hatten ein soziales Zusammenleben. Es war eine schöne Zeit, ich hatte die Macht. Die Männer wollten etwas von mir, das war ein gutes Gefühl.

Ich habe meine Grenzen immer gekannt und auch Nein gesagt. Es gab Sado-Maso Anfragen, da lehnte ich ab. Ich habe keine Knöpfe an Hoden genäht, ich habe nicht geküsst. Heute ist das anders. Uns haben die alten Frauen gelernt was man macht und was nicht. Ich habe nie auf der Strasse gearbeitet und Gewalt nicht erlebt. Nur einmal kurz im Niederdorf, aber der Strassenstrich war nichts für mich.

Mein Job war nicht heroisch, eher banal. Die Männer haben nicht nur die Hosen runtergelassen, sie haben mir ihre Seele gezeigt. Ich habe in die Menschen hineingeschaut. Männer bleiben Frösche und werden keine Traumprinzen, aber liebevolle Frösche. Ich mochte meine Kunden, man kann das nur machen, wenn man Menschen mag. Ich habe in kleineren Salons angefangen, da waren die Regeln klar. Ich bestimme und Küssen war verboten. Es waren Salons mit 3-4 Frauen die in Schichten arbeiteten.

Es ist ein Dienstleistungsjob und irgendwann hatte ich genug. Mit 30 habe ich aufgehört. Wenn du die Tür öffnest, musst du dich immer dümmer darstellen, als der der vor der Tür steht. Die Freier wollen sich überlegen fühlen. Irgendwann war dann genug. Gegen Ende habe ich schon im Bereich Streetwork gearbeitet, dann habe ich aufgehört und bin bei der Aids Hilfe eingestiegen. Vermisst habe ich die Frauen und das Drumherum. Ich habe noch Freundinnen aus dieser Zeit. Mit 30 war das Buch zu und es war wichtig für mich zu wissen, jetzt gehört mein Körper mir. Ich bestimme nun wer mich anfasst. Das hat mich auch körperlich verändert. Ich habe zugenommen, bin weicher geworden. Der Job hat meinen Körper in einer Art hart gemacht, dass wurde mir erst später bewusst.

Als Prostituierte bist Du eine gebrauchte Frau. Privat musste ich einen Mann finden, der das mitmacht. Meistens hatten die Männer kein Problem mit meinem Job, eher damit, dass ich so mehr verdiente. Als Prostituierte hatte ich irgendwie das gleiche Problem wie alleinerziehende Mütter. Du bist eine gebrauchte Frau, aber Männer haben gerne das Gefühl, dass sie der Erste oder Einzige sind. Möchten Frauen lieber nicht teilen.

Brigitte Obrist im Spiegel ihrer Vergangenheit Foto: Mike Flam

Brigitte Obrist im Spiegel ihrer Vergangenheit. Foto: Mike Flam

Privat habe ich nicht die Hure gemacht, da ging es um meine Sexualität. Viele dachten, nur weil ich Hure war, bin ich besonders gut im Bett, das ist ein Irrtum. Die Erwartungen an mich waren deshalb oft sehr hoch. Meine private Sexualität ist komplett anders. Privat bin ich keine Domina und all das.

Ich würde niemanden abraten. Wer es ausprobieren will, soll es probieren. Aber ich würde allen jungen Frauen raten, es so zu machen, dass sie die Möglichkeit haben, wieder unbemerkt auszusteigen.

Prostitution ist verschwiegen. Ich habe viel über Kontaktanzeigen mit Chiffre gearbeitet um Kunden zu gewinnen. Das lief gut. 306 Briefe habe ich aufgehoben. Viele Männer haben geschrieben, Bilder geschickt, aussortiert wurden die, die nicht bezahlen wollten. Es sollte immer klar sein, dass es um Geld geht. Die Texte lautet etwa so: Ich bin ein Hure und auch nicht, welcher Herr interessiert sich für mich? Die Briefe sind im Nachhinein so banal, oft erzählen sie ein ganzes Leben, inklusive Firmennamen und Privatadresse. Das zeigt, welches immense Vertrauen die Herren damals in die Prostitution hatten.

Prostitution hat viel mit unerfüllten Sehnsüchten zu tun. Ich bin für legale Prostitution ohne gesellschaftliche Stigmatisierung. Mein Leben ist viel mehr als nur Prostitution, die Prostitution hat mir das Rüstzeug mitgegeben, ich habe gelernt zu verhandeln. Die kleine Bauerntochter aus bildungsferner Schicht hat gelernt ihren Wert zu definieren, jeden Tag mit jedem Freier.

Hausfrau werden wollte ich nicht, dann lieber Nonne. Einige Zeit dachte ich, ich werde Lehrerin. Dann begann ich im Gastgewerbe und von dort in die Prostitution. Das war auch gut so, ich bin nicht allen Leuten zumutbar.

Wenn ich gegen Stigmatisierung kämpfe muss ich den Mut haben mit meinem Gesicht und Namen dazu zu stehen. 1988 bin ich mit dem Beobachter an die Öffentlichkeit gegangen. Die Reaktionen waren eigentlich gut. Aber ich musste auch erkennen, dass die Leute mein Leben oft anders sehen als ich.

Brigitte Obrist - schaut mit einem Lachen zurück Foto: Mike Flam

Brigitte Obrist – schaut mit einem Lachen zurück. Foto: Mike Flam

5 Kommentare
  1. Stoer Johann
    Stoer Johann sagte:

    ich bin nicht allen Leuten zumutbar – des stückerl text find i sowos von toll – und des stickal sogt so ungemein vü positives über di aus – aber i bins jo ah ned ;-)

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  2. Stoer Johann
    Stoer Johann sagte:

    und vü Gsundheit und glück wolit i dir ah nu wünschen – so richtig fröhlich schaust du auf de Fotos aus i glab do locht der Schalk heraus ;-)

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    • Elisabeth
      Elisabeth sagte:

      Lieber Johann
      Danke für Deine lieben Kommentare an Brigitte. Ich hab sie mit Freude weitergeleitet, ja und den Schalk hab ich auch gsehn ;-). Es war ein tolles Gespräch, das mich berührt hat. Alls Liebe Elisabeth

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  3. Johanna Weber
    Johanna Weber sagte:

    Vielen Dank für das wunderbare Interview. Schöne Fragen, die zu ehrlichen und tiefen Antworten einladen.
    Und vielen Dank auch an die Kollegin, Brigitte, für die lebensnahen, sehr anschaulichen und gut nachvollziehbaren Schilderungen. So etwas trägt zu mehr Verstehen und weniger Verurteilen unseres Berufsstandes bei.

    Johanna Weber
    eine Deutsche Kollegin, die auch im Züricher Oberland arbeitet

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    • Elisabeth
      Elisabeth sagte:

      Liebe Johanna
      Danke für Dein positives Kommentar. Schöne Worte. Mit meinen Gesprächen und Interviews möchte ich das Leben von besonderen Frauen einfangen, schön ist natürlich, wenn das so gut gelingt. Ich habe grossen Respekt vor Frauen und ihren besonderen Leben und fühle mich privilegiert, dass ich so ein Projekt umsetzten darf und kann. Auch mein Danke geht an Brigitte und ihre Offenheit und an Mike Flam für seine Fotos. Alles Liebe Elisabeth

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